Heute morgen fiel es mir nicht gerade leicht, mich aufzuraffen und zur Arbeit zu gehen. Ich lag noch lange auf dem Sofa und horchte in mich hinein, ob da nicht irgendwo ein kleines Anzeichen für eine leichte Übelkeit oder Kopfschmerzen zu finden wäre, so dass ich mich guten Gewissens hätte krank melden können... Aber nö, alles wunderbar.
Nachdem ich mich dann endlich, nach einer Stunde Trödelei, Richtung Arbeit aufmachte, war es bereits recht belebt auf den Straßen. Mir graute schon vor der überfüllten Straßenbahn mit den Horden von Schulkindern und Arbeitswilligen, die sich auf ihrem täglichen Weg zu den Stätten ihrer Leiden befanden.
Zu meiner Überraschung war die Bahn jedoch relativ leer. Ich bekam sogar einen Sitzplatz und konnte meine Beine ausstrecken. Die Vorabversion unseres neusten Liedes im Ohr, dachte ich, vielleicht wird der Tag doch nicht so schlimm.
Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Da ich auf einem Behindertenplatz saß, machte ich mich schon darauf gefasst, auszustehen und meinen Platz für einen Bedürftigen freizumachen. Ich blickte auf.
Neben mir stand eine junge Frau, schätzungsweise Mitte dreißig, mit kurzen schwarzen Locken, einer schwarzen Hornbrille, grasgrünem Lidschatten, knallrotem Lippenstift und Ohrringen, die auf den ersten flüchtigen Blick wie kopulierende Paare aussahen, sich im Nachhinein aber als abstrakte Drahtgebilde herausstellten.
Sie trug einen schwarzen Wollmantel, darunter blitzte, passend zum Lidschatten, ein grasgrüner Pullover hervor.
Sie bedeutete mir mit einer Geste, meine Kopfhörer aus den Ohren zu nehmen.
„Entschuldige bitte, aber meinst du nicht, dass du die Musik leiser machen solltest?“
„Oh, ist das so laut? Störe ich jemanden?“
„Nein, nein, aber denk doch an deine Ohren. Durch den Lärm werden die irreparabel geschädigt, weißt du? Und ihr Jugendlichen heute hört doch immer so furchtbar laute Musik.“
„Äh, entschuldige bitte, aber ich bin 27 und durchaus in der Lage, die Gefahren lauten Musikhörens für meine Ohren abzuschätzen.“
„Ich merk das immer an meinen Schülern, die werden immer schwerhöriger. Deshalb will ich jeden, den ich treffe, dazu bewegen, leiser Musik zu hören. So kann ich vielleicht meinen kleinen Teil dazu beitragen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.“
„Äh, ja danke, ich mach’s leiser.“
„Schön!“ Sie strahlte mich an und suchte sich ihr nächstes Opfer, einen jungen Mann, der deutlich vernehmbar auf House stand...
Weltverbesserer sind ja schön und gut, aber müssen die einem denn noch die letzten Freuden im Leben nehmen? Die Dame gehört bestimmt auch zu denen, die damals der Nixe auf den West-Plakaten die Brüste übermalt haben...
Mittwoch, 17. Oktober 2007
Von einer, die auszog, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen
Erdacht und meisterlich erzählt vom basser um 10:06
Tags: CCAA, Kuriositätenkabinett
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6 Kommentare:
Hätteste stattdessen gesagt "Das mach ich nur, um die Stimmen hier drin zu übertönen" wäre sie vielleicht weiter gegangen..... ;)
Das glaube ich nicht... Die sah aus wie jemand, der sein Ziel bis zum letzten Blutstropfen verfolgt... und ich hab doch was Weißes an heute... ;)
Ich kenne diese Sprüche bisher nur von Rentnern. Denen sag ich immer gern, dass ich die Musik nur so laut habe, damit ich den von ihnen verzapften Mist nicht hören muss.
Bisher hat's gut geklappt... ;)
Schön auch: "Kannst du bitte was lauter reden? Ich hör so schlecht... mein Tinnitus..."
Das war ne Fundamentalistin... wenn ich nicht klein beigegeben hätte, hätte die mir nachher noch mit aufm Schreibtisch gesessen... Bislang bin ich ja eigentlich immer in Ruhe gelassen worden, der nächste bekommt einfach direkt ohne Vorwarnung ne Ohrfeige... ;)
Es gab West-Plakate mit nackten Möpsen?!? Verdammt, warum hab ich das verpasst...
@ sirparker: Ja, irgendwann in den Neunziger... Da son Typ ner Nixe ne Kippe angeboten. Und die war barbusig. Also die Nixe jetzt, nicht die Kippe... ;)
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